Tag 16: Schneefelder

Wir treten vor die Hütte und werden von einem Nebel erwartet, dem ein Versprechen auf schönes Wetter innewohnt. Blauer Himmel lässt sich erahnen und die silberne Sonnenscheibe ist deutlich hinter dem Dunstschleier zu sehen. Das Einlösen des Versprechens wird aber noch einige Zeit dauern.

Zur Mittagszeit erreichen wir bei schönem Wetter die zehn Kilometer entfernte Hütte Krossvatn. Bis dahin war der Weg gut zu gehen. Das sollte sich ab nun ändern, so wie auch das Wetter, denn es hat sich in der Zwischenzeit ziemlich zugezogen.

Die Markierung führt uns durch eine zunehmend alpine Region. Und wir müssen immer öfter über Schneefelder. Das stört uns nicht, denn wenn sie nicht zu steil sind, dann kommen wir sogar schneller und problemloser voran, als auf dem Wanderweg. Einmal wechseln wir sogar extra auf ein Schneefeld, da es parallel zum Pfad verläuft.

Der Weg nimmt hier jeden Hügel mit. In den Tälern zwischen den Hügeln liegt meistens Schnee unter dem wir einen Bach plätschern hören können. Da die Schneedecke noch ausreichend ist, können wir über den Schnee auf den nächsten Hügel wechseln.

Doch dann kommen wir durch ein Kar und auf der anderen Seite erwartet uns ein steiler Abgrund. Der einzige Weg hinunter ist über das Schneefeld, das vom Pass bis zum 50 Meter tiefer liegenden Talkessel verläuft. Mir wird fast schlecht bei der Vorstellung, hier hinunter zu müssen. Ein Abklettern über die senkrechte Felswand ist nicht möglich. 

Langsam schiebe ich meinen linken Fuß auf den Schnee und drücke ihn fest hinein. Dann trete ich noch mal fester zu und schiebe mich langsam komplett auf das Schneefeld. Der Tritt hält. Dann trete ich mir eine Stufe mit dem rechten Fuß. Die Stöcke geben mir zusätzlichen Halt. Nun geht es auf diese Art Stückchen für Stückchen bergab, bis ich merke, dass die Neigung etwas flacher wird.

Ich drehe mich um, und sehe Petra, wie sie mir über meine getretenen Stufen vorsichtig folgt. Sie macht einen sicheren Eindruck und ich gehe nun nicht mehr seitwärts hinunter sondern ramme die Hacken tief in den recht weichen Untergrund, als ich auf ein Mal einen langgezogenen Schrei höre. Petra hat den Halt verloren und rutscht bergab. Sie kann sich aber fangen und kommt wieder auf die Beine. Wir lachen beide erleichtert auf.

Nun geht es mit festem Hackeneinsatz mehrere hundert Meter dem immer noch steilen Schneefeld entlang.

Auf ähnliche Weise, aber bei Weitem nicht so adrenalinlastig, müssen wir noch weitere Schneefelder queren. Oft geht es auf der anderen Seite wieder steil im Fels hinauf. Das Gestein hat im Laufe des Tages gewechselt. Anfangs hatten wir noch Granit, nun gehen wir über eine Art Schiefer, was leider so zerbröselt, dass man leicht darauf ausrutschen kann. Zudem hat es nun auch noch zu regnen angefangen. In den steilen Passagen müssen wir deshalb extrem vorsichtig gehen.

Irgendwann erreichen wir einen recht breiten Fluß, den wir queren müssen. Von Stein zu Stein balancieren geht hier nicht. Und die Furtschuhe anzuziehen, darauf haben wir bei dem unwirtlichen Wetter keine Lust. Wir sind ohnehin nass bis auf die Unterhose. Also lassen wir die Bergstiefel an und gehen so hindurch. Lange Zeit halten die Gamaschen das Wasser draußen, doch bei der tiefsten Stelle merke ich, wie es kalt in meine Schuhe läuft. Ab hier laufe ich mit triefend nassen Socken.

Ein Schneefeld führt uns direkt auf einen wilden, tiefen und breiten Fluß zu. Diesen gilt es zu queren, doch die einzige Möglichkeit, die wir hier sehen, ist eine Schneebrücke. Vor und hinter dieser Brücke ist der Schnee bereits weggeschmolzen und wir können das Brodeln und Schäumen der herabstürzenden Wassermassen hören und sehen. Mit mulmigen Gefühl trete ich so weit an die Schneekante, bis ich erkennen kann, wie dick diese Brücke ist. Zu nah an die Kante darf ich auch nicht, denn diese ist oft überhängend und kann leicht abbrechen. Wir trauen uns die zwei Meter über die Brücke, erreichen einen Felsbrocken, von dem aus wir mit einem großen Schritt den restlichen Fluß sicher überqueren können.

Kurz danach erreichen wir den letzten Pass des Tages, von dem ein langes Schneefeld in einer angenehmen Steigung hinabführt. Diese ein bis zwei Kilometer können wir so recht schnell zurücklegen.

Unter angekommen suchen wir Schutz vor dem Regen und Wind unter dem Überhang eines gewaltigen Felsbrocken, der direkt neben unserem Weg liegt. Wir wickeln uns wieder in unsere Zeltunterlage, doch lange halten wir es so nicht aus, denn wir sind nass und kalt und wollen nun nur noch in die warme, trockene Hütte, die ab hier immer noch ein bis zwei Stunden entfernt ist.

Gegen halb neun Uhr erreichen wir endlich Jonstølen. Wir sehen überraschte Gesichter am Fenster, und dann öffnet der Hüttenwart uns die Eingangstür und heisst uns herzlich willkommen. Er legt sofort Holz im Ofen nach, damit wir unsere Schuhe trocknen können, kocht uns heißes Wasser zum Waschen und für den Kaffee, zeigt uns unser Zimmer, den Waschraum und das Proviantlager.

Wir sind froh, endlich aus den nassen Klamotten herauszukommen. Waschen uns schnell und kochen dann unser wohlverdientes Abendessen.

Lange Zeit unterhalte ich mich noch mit dem Hüttenwirt. Er ist pensioniert, und liebt es, als Hyttevakt zu arbeiten. Hierfür bekommt er kein Geld, kann aber umsonst auf den Hütten leben. Jonstølen ist für diese Saison seine erste Hütte, es werden noch drei weitere folgen, auf die er für je eine Woche aufpassen wird. Er hat früher auf einer relativ kleinen Ölplattform gearbeitet, denn dort waren nur 100 Arbeiter. Auf den größeren sind es bis 400. Gegen halb elf liege ich dann endlich im Bett. Das ist für diesen Urlaub bisher ein Rekord. Lange brauche ich, bis ich eine Position gefunden habe, in der die Beine und Füße nicht schmerzen, dann döse ich ein.

Die heutige Etappe in Zahlen

Kilometer

Gesamt30
Auf Asphalt0
Auf Schotter0
Auf Wanderwegen30
Querfeldein0

Höhenmeter

Bergauf550
Bergab930

Geschätzte Gehzeit

11 Stunden

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