Gestern haben wir gespannt die Verkehrsnachrichten verfolgt, doch das Chaos zum Anfang der Schulferien auf den Autobahnen Richtung Norden blieb aus. So sind wir bereits Viertel nach Elf Richtung Agger, Dänemark, losgefahren und haben nur 90 Minuten länger gebraucht, als unter besten Bedingungen. Bis kurz vor Bremen und ab Hamburg floß der Verkehr sogar richtig gut.
Kurz hinter Hamburg kamen wir in ein Weltuntergangsgewitter. Wir fühlten uns wie in der Waschstraße und konnten die Straße nur ca. 20 Meter weit erkennen. Der Rest ging im Regenschleier unter.
Da in unserem Startort unserer diesjährigen Wanderung kein bezahlbares Hotelzimmer verfügbar war, haben wir uns einen Ort vorher in einem Hotel einquartiert, leider war die Küche bereits zu, als wir um halb Neun dort eincheckten. So haben wir die restlichen Spiegeleibrote mit einem Schluck Kaffee aus der Thermoskanne vertilgt, haben noch ca. 2 Seiten in unseren Büchern gelesen und uns dann schlafen gelegt.
Nun stehen wir an der Strandpromenade von Agger und starten unsere zweiwöchige Wanderung auf dem Nordseeküstenweg.
Zunächst gehen wir auf einem Asphaltweg, der hinter der letzten Düne vor der Nordsee entlang führt. Es ist windig, wenn nicht gar stürmisch.
Doch wie stürmisch es ist, merken wir erst, als wir einen kleinen Pfad nach links einschlagen, um uns den Stand anzusehen. Dort finden wir direkt wieder einen Bunker vor, eine unliebsame Hinterlassenschaft von Nazideutschland, wie wir es auch schon vom Atlantikwall in der Bretagne her kennen.
An dem nahegelegenen Wellenbrecher mühen sich die schaumgekrönten Wellen ab. Die Gischt spritzt meterhoch und wird vom Wind bis zu uns hingeweht. Ungemütlich ist es.
Wir sind froh, dass wir nicht hier wandern müssen und gehen geschwind wieder hinter unsere Düne. Unsere Lippen schmecken salzig und wir überlegen ernsthaft die Handschuhe anzuziehen, nur dass ich meine zu Hause gelassen habe, da ich mir nicht vorstellen konnte, sie im Juli in Dänemark gebrauchen zu können.
Wenigstens kommt der Wind von Südwest und wir wandern tendenziell nach Nordost. Nach einer weiteren Viertelstunde sind die Hände auch nicht mehr kalt und etwas später fangen wir schon in unseren Regenjacken an zu schwitzen. Nur ausziehen wollen wir sie noch nicht.
Immer weiter geht es im Windschatten der Düne. Die Windböen drücken die Grashalme immer wieder auf den Boden und vermitteln so den Eindruck, dass Wellen über die grasbedeckten Sandberge laufen. Wir treffen zu dieser Zeit kaum einen Menschen, weitere Wanderer an dem gesamten Tag sogar keine.
Irgendwann laufen wir auf einer Schotterpiste auf ein Kiefernwäldchen zu, und der Weg folgt seiner Peripherie. Die Bäume in der Frontlinie haben Richtung Meer keine Äste, entweder wachsen aufgrund des Windes dort keine, oder sie sind nach hinten gebogen worden.
Da wir nun etwas weiter entfernt vom Meer sind, ist der Wind etwas schwächer geworden. Das Rauschen des Meeres können wir dennoch im Hintergrund hören.
Dann biegt der Weg nach rechts in den Wald hinein und führt direkt auf einen alten Leuchtturm zu, den wir kurz darauf erreichen. Hinter dem Turm treffen wir auf den ersten Naturcampingplatz. Ein Gapahuk mit 5 Schlafkabinen umrundet in einem Halbkreis eine Feuerstelle. Etwas abseits ist das Holzlager inclusive einem Sägebock. Säge und Axt sind auch vorhanden, sowie ein Stapel von rußgeschwärzten Töpfen, die unter dem hervorstehenden Dach des Gapahuks auf einem wackligen Gestelle stehen. Drei Tourenradfahrer (heute sagt man glaub ich eher Bikepacker) sitzen noch im Gapahuk und unterhalten sich.
Wir hingegen ziehen hier nur unsere Jacken aus und wandern weiter.
Kurz darauf verläßt der Weg den Wald und wir befinden uns in einer Marschlandschaft. Der Weg wird morastiger und neben ihm sind endlos tiefe, dunkelbraune Wassergräben. An einigen Stellen stehen links und rechts vom Weg in kurzen Abständen Stangen, die seinen Verlauf markieren. Noch wissen wir nicht, was es mit ihnen auf sich hat.
Nach 13 Kilometern und etwas über zwei Stunden erreichen wir einen alten Backsteinbau, der als einfache Wandererunterkunft dient.
Vor dem Gebäude steht eine Banktischkombination in der Sonne, und hier legen wir die erste nennenswerte Rast ein.
Nach dem wir einigermaßen gestärkt sind, geht es auch schon weiter und uns fallen die vielen Mülltonnen vor den vielen Wochenendhäusern auf. Diese Tonnen sind zweigeteilt, so dass in der einen Hälfte beispielsweise Papier und in der anderen Metall gesammelt werden kann. Davon hat jedes Haus drei Stück und somit nehmen es die Dänen noch genauer mit der Mülltrennung als wir Deutschen.
Weiter geht es durch diese Landschaft, die nach einiger Zeit auf uns eher langweilig wirkt, als ich plötzlich ein „Sorry“ hinter mir höre. Ich erschrecke, drehe mich um und direkt hinter uns haben sich zwei Radfahrer „angeschlichen“, die wir überhaupt bemerkt hatten. Wir lassen sie natürlich vorbei und bald sehen wir sie weit vor uns in den Dünen entlangradeln.
Doch dann fahren sie unvermittelt nach links, kommen zurück, halten an, fahren nach rechts aus unserem Blickfeld heraus und kommen nach einiger Zeit wieder zurück. Als wir wieder zu ihnen aufschließen, sagt er auf englisch, daß der Weg durch einen See führt und sie nicht erkennen konnten, wie tief das Wasser dort ist. Sie werden versuchen, einen Weg drumherum zu finden.
Wir hingegen wollen uns das mit eigenen Augen ansehen und gehen weiter. Doch tatsächlich, der Weg führt schnurstracks durch einen See und ist mit den bereits erwähnten Stangen markiert.
Wir versuchen am Ufer entlang den See zu umrunden, da uns die Durchquerung nicht geheuer ist. Bereits nach wenigen Schritten stürze ich in das knietiefe, schlammige Wasser. Doch danach wusste ich, worauf ich zu achten hatte und kann unfallfrei meinen Weg fortsetzen. Auch Petra hat hinter mir Probleme, kommt aber laut mit ihrem Schicksal hadernd hinterher.
Die Radfahrer entdecken wir kurze Zeit später, als sie hinter uns und einer Düne hervorkommen, nur um wenige Minuten später wieder umzukehren. Das war ihnen wohl doch zu extrem. Mit unserer Norwegenerfahrung kommen wir ohne weitere Probleme auf der anderen Seite des Sees an und folgen dem Weg, der wieder durch einen Wald führt. Dort machten wir erneut an einem Naturcampingplatz Pause.
Wir können den Sonnenschein und die Stille auf dieser Lichtung nicht so richtig genießen, denn die vielen Mücken lassen uns einfach keine Ruhe. Darum marschieren wir, kaum dass unser Hunger einigermaßen gestillt ist, wieder los.
Auf diesem Wegabschnitt sehen wir wieder sehr viele Buschrosen und dort, wo die Blüten bereits abgefallen waren, können wir große Hagebutten entdecken.
Dann kommen wir in einen kleinen Ort, sehen bald den ersten „richtigen“ Campingplatz und sind froh, dass wir diesen nicht als Tagesziel eingeplant haben.
Leider geht es die letzten Fünf Kilometer über eine kaum befahrene Asphaltstraße bis zu unserem Etappenziel: Nørre Vorupør. Einen Kilometer vor dem Camping finden wir einen offenen Supermarkt (heute ist Sonntag, doch die Läden haben hier dennoch geöffnet) und decken uns mit den Grundnahrungsmitteln eines hungrigen und durstigen Wanderers ein: Paprikachips und Dosenbier.
Dann geht es auch schon kurz darauf auf den Selbstbedienungscamping, wo an einem Automaten der Platz ausgesucht und bezahlt wird. In dem Sanitärhaus entdecken wir eine saubere und moderne Küche, in der ein Tisch steht. Ein idealer Platz um die gerade erworbenen Nahrungsmittel zu vertilgen, wie wir finden.
In den Dünen finden wir einen etwas windgeschützten Platz und bauen unser Zelt so gut es geht auf, denn irgendwie habe ich zwei Heringe zu wenige eingepackt. Dennoch steht das Zelt vertrauenswürdig und stabil im Wind.
Nach der wohltuenden Dusche gehen wir mit müden und wackeligen Beinen zum Hafen, wo die Fischerboote am Stand liegen. Ein Hafenbecken sucht man in dieser Gegen vergebens, hier werden die Boote an Land geparkt.
Im schäumenden Meer können wir Kite-Surfer, Foil-Surfer und Einfach-Nur-Surfer beobachten, nur Wind-Surfer sehen wir hier nicht. Dieser Sport ist wohl nicht mehr spektakulär genug und out.
In einer Art komfortablen Imbiss essen wir erstaunlich geschmacklose Schollen mit Pommes und trinken dazu um so leckereres IPA. Anschließend gibt es noch ein Eis in der Waffel und wir fühlen uns wieder so richtig gut und fast fit genug für den nächsten Tag.