Als mein Bruder und ich 2016 unsere Wanderung durch Grönland planten, haben wir gedacht: Grönland, das liegt im Norden, dort ist es immer kalt, wir brauchen keine kurzen Hosen. Das war ein blöde Entscheidung, die wir mehrmals bereut hatten.
Als Petra und ich unsere Coast-to-Coast-Wanderung planten, haben wir gedacht: England, dort ist oft schlechtes Wetter, wir sind hoch im Norden, knapp unterhalb von Schottland, wir brauchen keine kurzen Hosen. Das war das zweite Mal, das ich den gleichen Fehler gemacht habe, denn hier haben wir momentan kaum Wolken und die Temperaturen liegen bei 20 Grad im Schatten, nur dass wir kaum Schatten haben.
Das Frühstück im Fox & Hounds Inn ist so reichhaltig, dass ich mit einem vollen Bauch zur Wanderung aufbreche. Das Dorf liegt noch im Schatten der alten Eichen, dennoch sind die Temperaturen sehr angenehm. So wie auch die ersten neun Kilometer, die ohne nennenswerte Steigungen zunächst zum benachbarten See Ennerdale Water und dann um ihn herum führen.
Wir haben den See bereits halb umrundet, da kommt uns ein verschwitzter Trailrunner entgegen. Er hält kurz an, fragt uns, ob wir die Strecke schon kennen, und erklärt uns dann sehr detailliert, wie wir die einzige, schwierige Stelle, die eine kleine Klettereinlage bedarf, meistern können. Und dann rennt er auch schon weiter.
Auf diesem Stück ist der Weg recht voll. Wir überholen einige Paare aber auch zwei kleinere Gruppen.
Der Pfad führt auf der anderen Seeseite zum Zufluß des Sees, den ein kleine Brücke überspannt. Hier, im Schatten der Bäume, legen wir eine erste Pause ein. Denn in 1-2 Kilometern wollen wir den Hauptweg verlassen und eine Alternative über die Berggipfel einlegen.
Steil und schattenlos führt dieser Pfad in der Direttissima 600 Höhenmeter bis zu einem Gipfel, wo wir vollkommen verschwitzt, erschöpft und hungrig ankommen und die tolle Aussicht auf die benachbarten Täler kaum genießen können. Genießen kann ich auch nicht das Sandwich, dass wir im Fox & Hounds bekommen haben, zu trocken ist mir das Brot. So trinke ich fast nur und kaue ein paar handvoll Erdnüsse.
Für diese Hitze haben wir heute viel zu wenig Wasser mit. Und unsere Flaschen an den Bächen auffüllen, trauen wir uns nicht, da überall Schafe an den Berghängen zu sehen sind. So schwitze ich viel mehr, als ich wieder auffüllen kann. Das und die Hitze als solche machen mir heute unglaublich zu schaffen. Hinzu kommt das ewige Auf und Ab.
Nach dem ersten Gipfel liegen aber noch 14 Kilometer und 500 Höhenmeter vor uns und das Laufen fällt uns mittlerweile immer schwerer.
Immer häufiger legen wir eine Trinkpause ein, so dass unsere Wasservorräte schnell zur Neige gehen. Ich fülle irgendwann den noch kochend heißen Inhalt meiner Thermoskanne in die Trinkflasche, damit das Wasser abkühlen kann.
Der Pfad ist stellenweise kaum noch als solcher erkennbar, doch mit dem Track auf meinem Handy fällt die Orientierung nicht schwer. Auch gibt es einige sehr felsige Passagen, wo wir mehr Klettern als Wandern müssen. Hier lassen wir quasi unsere letzten Kraftreserven.
Irgendwann erreichen wir an einem kleinen Pass wieder den Hauptweg, wo wir weitere 100 Höhenmeter aufsteigen müssen. Als wir auch das schleichend geschafft haben, müssen wir nur noch bergab. Erst zwei Kilometer bis zu einem Pass, wo es ein Cafe geben soll. Wir freuen uns bereits auf ein kühles Getränk, doch als wir dort eintreffen ist alles geschlossen. Wir sind zu spät dort, denn mittlerweile ist es bereits 18 Uhr, wir haben somit für die 20 Kilometer fast 10 Stunden gebraucht.
Frustriert wollen wir gerade weiterlaufen, um die letzten vier Kilometer bis zu unserem Camping zurücklegen, als ein Taxi neben uns hält, der Fahrgast aussteigt und seine Wanderung beginnt. Ich frage den Fahrer, was die Fahrt ins Tal kostet, und er meint „Nichts“, denn dort will er ohnehin hinfahren. Schnell verschwinden die Rucksäcke im Kofferraum und wir auf der Rückbank und fast genauso schnell werden wir am Camping abgesetzt.
Der Campingplatz besteht aus einer sehr großen nicht parzellierten Wiese, die zu einem rustikalen Bauernhof gehört. Da treffe ich die Wirtin an, die uns erklärt, dass sie keine Getränke und Lebensmittel verkauft, aber dass es einen Pub 10 Minuten zu Fuß entfernt gibt. Damit hatten wir nicht gerechnet und waren schon auf Wasser und Trockennahrung eingestellt, so hatten wir aber innerhalb von 10 Minuten doppeltes Glück.
Schnell bauen wir das Zelt auf, während im Hintergrund die Sonne hinter den Hügeln verschwindet, duschen in dem primitiven Verschlag, und legen die wenigen Meter zum Pub zurück. Dort kriegen wir den letzten Tisch (wir haben heute echt einen Lauf), bestellen unser Essen und zwei Pints, denen bald darauf zwei weitere folgen. Wir sind schon reichlich beschwipst, als unsere Mahlzeiten serviert werden. Das Essen ist fast noch besser als das Bier. Kaputt aber zufrieden und satt gehen wir im Dunkeln zurück zum Camping und legen uns mit schweren Beinen ins Zelt.