Das White Lion ist ein typisch, englischer Pub. Eine große Theke mit unzähligen Zapfhähnen dominiert den Gastraum, wobei es überraschend viele ausländische Biere vom Faß gibt: irisch, italienisch, spanisch, mexikanisch, nur deutsche Biere sucht man hier vergeblich. Neben dem eigentlichen Barraum gibt es meistens noch einen Bereich mit bequemen Stühlen, Bänken und Tischchen, wo man das Essen serviert bekommt. Bestellen und Bezahlen erfolgt aber immer an der Theke.
Vorsichtig muss man als Nichtengländer sein, wenn man das White Lion verlässt, besonders wenn man einige Pints getrunken hat. Denn mit dem Schritt aus der Gaststätte hinaus steht man schon auf der Straße und wenn man da nicht mehr beachtet, dass die Autos auf der falschen Seite fahren, kann es leicht zu einem Unfall kommen.
Wir kommen unfallfrei schon recht früh am Campingplatz an. Da einige recht große Mückenschwärme über der Zeltwiese hängen, sind wir schon recht früh im Zelt verschwunden. Der nächste Tag wird recht anstrengend werden, weshalb wir früh schlafen wollen, um zum Sonnenaufgang bereits zu frühstücken und noch vor acht loszuwandern. Doch bis weit nach Sonnenuntergang kommen immer wieder neue Camper an, die Van-Besitzer schieben im Minutentakt ihre Schiebetüren auf und zu, alle anderen müssen nicht weniger häufig die Autotüren auf und zu schlagen, Kinder spielen kreischend und die Erwachsenen unterhalten sich lautstark. Irgendwie war Camping letztes Jahr in der Bretagne entspannter.
Schon vor sieben Uhr stehen wir auf und sind bereits kurz vor acht unterwegs. Der Himmel ist zum ersten Mal am Morgen wolkenverhangen. Wenn wir uns die Berge anschauen, die wir heute hochwandern werden, sehen wir die Gipfel nicht, denn sie sind von Nebel umhüllt.
Ungemütlich ist es und irgendwie wird es nicht richtig hell. Wir steigen in unserem eigenen Tempo gemächlich den Berg hinauf und sehen zum ersten Mal keine Wanderer vor uns, die in unsere Richtung wandern. Stattdessen kommen uns aber recht viele entgegen und wir fragen uns, woher sie kommen, ob sie oben gezeltet haben oder noch früher als wir aber von der anderen Bergseite her aufgestiegen sind.
Oben wird es immer windiger und nebliger. Nach einiger Zeit müssen wir uns eingestehen, dass nur ein T-Shirt bei diesem Wetter doch zu wenig ist. Wir ziehen uns unsere langärmeligen Shirts drunter. Kaum eine Stunde später folgt die Regenjacke.
Als wir an einem Grat entlangwandern, werden wir von den hochschießenden Böen fast umgehauen. Heute ist definitiv kein optimales Wanderwetter. Dennoch sehen wir eine Familie mit einem höchsten sechs Jahre alten Kind, alle drei in kurzen Hosen, hier wandern. Uns kommt ein Mountainbikefahren entgegen und unzählige Trailrunner sind unterwegs. Und noch mehr normale Wanderer, die meisten, oder eigentlich alle, haben wesentlich weniger Gepäck dabei als wir. Und alle sind aus England, Australien, Kanada oder anderen, englischsprachigen Ländern. In Deutschland scheint der Weg irgendwie nicht so bekannt zu sein.
Ohne große Pausen verlassen wir die hohen Lagen und erst als wir 500 Meter unterhalb der Gipfel an einen See kommen, packen wir unseren Proviant und den Kocher aus. Ich bereite mir eine asiatische Nudelsuppe zu, Petra bevorzugt ihre Haferriegel.
Anschließend geht es am Ufer des Haweswater Reservoir für sechs Kilometer entlang. Das liest sich gemütlicher als es ist, denn immer wieder müssen steile Bereiche oberhalb umrundet werden, und so ist es ein ständiges Auf und Ab.
Am Seeende geht es die letzten zehn Kilometer über Weiden bis in das Dörfchen Shap. Hier bemerken wir ganz deutlich, dass wir den Lake District verlassen haben. Die hohen Berge liegen nun hinter uns und vor uns sehen wir eine weitgedehnte, hügelige Landschaft. In den Tälern schlängeln sich naturbelassene Flüsschen unter einem alten Baumbestand dahin, und darüber liegen die Weiden, die von Natursteinmauern eingefasst sind und die wir häufig über kleine Holzstiegen überwinden müssen.
Kurz vor Shap kommen wir direkt an den Ruinen einer Abtei vorbei. Der Ort selbst ist nicht besonders erwähnenswert. Wir müssen komplett durch ihn wandern, denn unser Hotel liegt genau am anderen Ende. Gut, dass es im Hotel auch einen Pub gibt, so dass wir nicht noch mal hinaus müssen, denn die heutigen 1000 Höhenmetern und 26 Kilometern haben uns schon geschafft.