Steinwurf

Unser Hotel, das Horseshoe Hotel, ist sehr verwinkelt gebaut. Vom Barraum führt eine unscheinbare Tür zu einer steilen Treppe, dann stösst man auf eine Kreuzung von Fluren, und in jeder Richtung geht es erneut einige Stufen hinauf. Anschließend geht es auf dem Weg zu unserem Zimmer noch mal um eine Ecke, wieder erreicht man Treppen in unterschiedliche Richtungen. Am Ende eines kurzen Korridors liegt dann unser Zimmer, was nicht unbedingt das Beste auf dem C2C war. Dafür aber das Abendessen und auch das Frühstück.

Im Frühstücksraum sitzen drei der Frauen aus der großen Gruppe vom Vorabend, später gesellt sich noch eine Vierte hinzu. Die restlichen sind in einem anderen Hotel abgestiegen, wie mir der Wirt erzählt, als ich unsere Rechnung am Bartresen bezahle. 

Wir gehen durch die kleine Eingangstür hinaus und werden wieder von Regen empfangen. Gut, dass wir Regenhose und -jacke bereits angezogen haben. Der Wetterbericht für diesen Tag sieht so schlecht aus, dass wir die heutige, letzte Etappe von 27 auf 17 Kilometer verkürzt haben.

Der Morgen hat bereits viel von der Dämmerung der Dunkelheit verdrängt und dann doch bloß einen jener trüben Tage eingeläutet. Nebelschwaden hängen noch immer zwischen den Bäumen. Der Wer, den wir entlanggehen, ist von feuchtem braunem Laub bedeckt.

Der letzte Absatz ist nicht direkt von mir, sondern ist ein Zitat aus dem Buch Die Strömung vom schwedischen Autorenehepaar Björlind. Petra und ich lesen gerade die ersten Bücher ihrer Romanreihe um Olivia Rönning und Tom Stilton und können sie nur empfehlen. Das obige Zitat hatte ich heute morgen im Bett gelesen und fand, dass es durchaus auch auf uns hier passt.

Zunächst macht uns der Regen kaum was aus. Nach wenigen Minuten erreichen wir Egton und von dort bis Grosmont führt abseits der Straße ein Weg durch eine idyllische Landschaft, anfangs noch mit herrlichen Herrenhäusern aus gelbem Sandstein. 

Kurz vor Grosmont hören wir ein Pfeifen und Schnaufen, was nur von einer Dampflok stammen kann. Der Dampfzug ist eine Touristenattraktion, die hier regelmäßig verkehrt. Einer der Bahnhöfe, die er ansteuert, ist Goathland. Doch die meisten werden in ihm Hogsmeade wiedererkennen, da er bei den Harry Potter Produktionen als Filmkulisse für den Hogwarts-Bahnhof herhalten musste.

Schon innerhalb von Grosmont kommen wir an eine Brücke, die aufgrund eines polizeilichen Vorfalls gesperrt ist. So verkündet es ein Schild, neben dem bereits eine Wanderin steht und verzweifelt auf ihrem Handy nach einer Alternativstrecke sucht. Als wir ankommen, beschließen wir, verbotener Weise doch die Brücke zu überqueren. Nirgendwo ist ein Polizist zu sehen, so kommen wir ungeschoren davon.

Hinter Grosmont steht es 250 steile Meter rauf ins Moor. Hier treffen wir erneut auf die Frauengruppe. Oben, im Moor, werden wir von kräftigen Windböen empfangen. Der Regen prasselt weiterhin pausenlos auf uns ein und Nebelschwaden begrenzen unsere Sicht auf maximal 50 Meter. In solchen Situationen schießt einem schon die Frage durch den Kopf, warum man sich das überhaupt antut.

Kaum haben wir den höchsten Punkt dieses Hügels erreicht, zweigt links unser Weg von der Straße ins Moor/in die Heide ab. Es ist morastig und rutschig, das Regenwasser fließt im ausgetretenen Pfad bergab und wir müssen häufig größere, tiefe Pfützen umrunden.

Da unsere Füße bereits klätschnass sind, können wir getrost hier durch wandern, schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Kurz darauf erreichen wir Littlebeck, wo die Straße vom gleichnamigen Bach mindestens einen Fuß tief überspült wird. Für die Wanderer gibt es glücklicher Weise eine Brücke über diesen Bach.

Hier kürzen wir zum ersten Mal den C2C ab und gehen eine kleine Asphaltstraße unseren letzten Hügel auf dem Weg zur Nordsee hinauf. Nach zwei fahrzeuglosen Kilometern müssen wir leider auf eine sehr befahrene Straße, so dass wir oft nur 100 Meter am Stück gehen können, um dann auf dem grasbewachsenen Seitenstreifen vor den entgegenkommenden Autos Schutz zu suchen.

Dann geht es wieder auf einen matschigen Pfad durch das Moor. Vor uns können wir das Pudel-Paar ausmachen, doch bevor wir sie einholen können, knickt die zweite Abkürzung scharf rechts ab und wir erreichen eine Landstraße, die uns auf drei Kilometern steil hinunterführt in unseren Zielort: Robin Hoods Bay.

Robin Hood war übrigens nie hier. Warum der Ort sich so genannt hat, ist anscheinend nicht überliefert, dem Tourismus hat die Namenswahl aber bestimmt nicht geschadet.

Nachdem wir unser Gepäck im Hotel auf das Zimmer gebracht haben, gehen wir sofort wieder los, um an den Strand zu kommen. Dort müssen wir ja noch unseren Stein in die Fluten werfen. Nur wenn wir dort waren, können wir mit Fug und Recht sagen, dass wir von Küste zu Küste gewandert sind.

Unser Hotel liegt etwas oberhalb des eigentlichen Ortkerns. Die Straße durch den Ort hat keine Angabe, was die Steigung angeht. Doch 40 werden es mit Sicherheit sein. Kleine, schmucke Häuschen stehen wie aufgereiht aneinander und zwischen ihnen laufen verwinkelte Gässchen. Viele der Häuser sind Kneipen, Restaurants oder Lädchen, in denen Touristenzeugs verkauft wird.

Direkt hinter dem letzten Haus führt ein kopfsteingepflasterter Weg ins Meer. Der Wind treibt gischtgekrönte Wellen in die Bucht. Wir entdecken ein Schild, was das Ende des C2C markiert und machen ein Beweisfoto.

Dann gehen wir ans Meer und werfen unsere Steine, die wir die letzten 13 Tage von der Irischen See aus hierhin getragen haben, in das Meer und beschließen so unsere Wanderung. Ein schönes Gefühl, das nur dadurch getrübt wird, dass wir total durchgefroren und nass bis auf die Haut sind.

Darum geht es direkt anschließend auf dem kürzesten Weg zurück zum Hotel. Direkt davor sehen wir das Pudel-Paar, das sich bei einem Einwohner nach dem Weg zu ihrem Hotel erkundigt. Auch sie haben die heutige Etappe abgekürzt. Wir gratulieren uns gegenseitig, umarmen uns und wünschen uns alles Gute.

Die Zeit bis zum Abendessen verbringen wir mit der Recherche nach den Busverbindungen zurück nach Newcastle, Tagebuchschreiben und Björlind-Romane-Lesen.

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